Das grosse Ringen

Jetzt geht der Kampf um die Talente so richtig los. Zum einen nimmt der Fachkräftemangel zu, zum anderen droht die grosse Abwanderung. Viele Arbeitnehmende kündigen, weil ihnen im aktuellen Job der Sinn fehlt. Unternehmen müssen umdenken, damit sie als Arbeitgebende attraktiv bleiben.

Die Coronapandemie hat viele Menschen dazu bewegt, Dinge zu hinterfragen. Mehr denn je suchen sie nach Sinnhaftigkeit bei ihrem Tun. Das hat enorme Aus-wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das Beratungsunternehmen McKinsey nennt es die «Great Attrition» –
die grosse Abwanderung. Innerhalb eines halben Jahres von April bis September 2021 hat jede achte Arbeitskraft in den USA ihren Job gekündigt. Die Tendenz ist steigend.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Europa. Bei einer Studie des Beratungsunternehmens, Personio in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Grossbritannien, Irland, den Niederlanden und Spanien gaben zwischen 38 und 46 Prozent der befragten Arbeitnehmenden an, in den nächsten sechs bis zwölf Monaten offen für eine neue Stelle zu sein. 45 Prozent der befragten Unternehmen sagten, dass seit der Pandemie ihre Fluktuationsrate gestiegen ist.

Als Arbeitgeber attraktiv bleiben

Die Pandemie hat lange Zeit angestaute Unzufriedenheiten zum Überkochen gebracht. Und sie hat den Wunsch verstärkt, den eigenen Werten mehr Bedeutung zu schenken. Was bisher vor allem mit den Bedürfnissen der Generation Z in Verbindung gebracht wurde, schwappt auch auf andere Generationen über.

Dazu kommt, dass der Fachkräftemangel weiter ansteigt. Und gerade junge Bewerberinnen und Bewerber mit guter Ausbildung wissen, dass sie am länge-ren Hebel sitzen. Was Unternehmen machen, um für diese jungen Talente attraktiv zu bleiben, zeigen wir an den Beispielen von Unilever und SBB.

Wie erreichen Sie die Gen Z?
Louisa Vogt, Talent Advisor Early Careers, Unilever DACH: Unsere Haupt-kanäle sind Instagram und LinkedIn. Dort posten wir regelmässig Storys und Videos. Tiktok ist ein grosses Thema und wird aktuell geprüft. Zwar sind wir auch auf Facebook vertreten, erreichen die Zielgruppe dort aber weniger.

Ladina Bass, Talent Partner für Fach- und Führungskräfte, SBB: Wir betreiben unser Marketing über unsere Social-Media-Kanäle, hauptsächlich auf Instagram, Facebook und LinkedIn. Wir haben gemerkt, dass alles «Mobile-Taugliche» gut funktioniert. Kurze Videos mit einer Verlinkung zur Stelle kommen bei dieser Zielgruppe gut an. Tiktok ist auch in, jedoch aktuell noch nicht in Planung. Die Produktion von ansprechendem Content ist sehr aufwendig. An die SBB wird eine gewisse Erwartungshaltung gestellt, da müssen die Inhalte qualitativ gut sein.

Was sind Ihre Pain Points?
Louisa Vogt: Vor allem die rückläufigen Bewerberzahlen. Der Markt ist übersättigt mit Early-Career-Angeboten. Ob Praktika oder Trainee-Stellen: Es ist schwierig, gezielt junge Kandidatinnen und Kandidaten zu erreichen. Personen für den kaufmännischen Bereich sprechen wir über Instagram an – doch wie sieht es bei Praktikantenstellen für die Werke aus? Wir wissen noch nicht genau, was das perfekte Medium oder der perfekte Kanal ist, um diese Personen zu erreichen. Wir wissen nur, dass wir die beiden Bereiche nicht zusammenfassen können. Die Fachkräfte in den Werken sind kommunikativ anders unterwegs, auf anderen Plattformen. Hier versuchen wir, uns gezielt zu positionieren. Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass wir im Vergleich mit beispielsweise der Automobilbranche auf den ersten Blick als nicht so «cool» wahrgenommen werden.

Ladina Bass: Generell ist der Markt in der Schweiz übersättigt, da eine Vollbeschäftigung (Arbeitslosigkeit unter 3 Prozent) besteht. Jetzt sind aber wieder mehr Stellen offen – rund 40 Prozent mehr als vor der Pande-mie. Der sogenannte War of Talents ist präsenter denn je. Bei uns besteht die Herausforderung vor allem darin, Personen im IT- und im Engineering-Bereich zu finden. Das Umfeld ist aktuell sehr kompetitiv. Bei HR, Finance und Marketing sieht es besser aus. Eine Stelle bei der SBB macht sich nach wie vor gut im Lebenslauf. Im Immobilienbereich sind wir bestens aufgestellt, da wir zu den Grössten auf dem Markt gehören.

Wie positionieren Sie sich als attraktive Arbeitgeberin?
Louisa Vogt: Ein grosses Thema sind neue Arbeitszeitmodelle. Alle bei uns haben einen Laptop, und wir können von überall arbeiten. Und können unseren Arbeitsort frei wählen. Wir haben ein eigenes Team, das sich DACH-übergreifend für diese Themen einsetzt. Was brauchen Mitarbeitende, was nicht mehr? Es ist uns wichtig, am Puls der Zeit zu bleiben. Zudem wird bei uns das Thema Wellbeing wirklich gelebt. Wir bieten viele Trainings in dem Bereich an und wir haben sogenannte Mental-Health-Champions als Ansprechpartnerinnen und -partner. Und last but not least: Wir sind mit allen per Du – auch mit dem Chef. Da gibt es keine Ausnahme.

Ladina Bass: Wir haben fortschrittliche und moderne Anstellungsbedingungen. Mit der Möglichkeit, den Arbeitsort und die Arbeitszeit wo immer möglich flexibel zu gestalten, berücksichtigen wir das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach mehr Flexibilität und einer guten Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf. Das trifft den Nerv der Gen Z, der die Work-Life-Balance genauso wichtig ist wie entsprechende Aufstiegsmöglichkeiten. Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit sind bei uns nicht bloss Buzzwords, wir leben sie als Unternehmen täglich. Mit unseren Trainee-Programmen und Hochschulpraktika bieten wir den optimalen Einstieg ins Berufsleben.

Welche Recruitingmethoden behalten Sie auch nach der Pandemie bei?
Louisa Vogt:
Zum einen die virtuellen Interviews, die nun fester Bestandteil aller Bewerbungsgespräche sind. Diese können über Tablet, Handy oder PC gemacht werden und finden jeweils in einem lockeren Setting statt.
Auch die virtuellen Assessment-Center für Praktika sowie die Trainee- und Azubi-Stellen werden wir weiterführen. So können sich auch Interessierte aus anderen Ländern zuschalten und sich beispielsweise aus Portugal während des Auslandsemesters bewerben.
Mit dem Assessment-Center werden wir voraussichtlich Richtung hybrides Modell gehen, damit wir möglichst viele Personen erreichen. Selbstverständlich ist es physisch einfacher, unsere Kultur zu erleben. Aber wir möchten auch die ansprechen, die gerade nicht in der Region sind.

Ladina Bass: Unser aktuelles Recruiting-Team gibt es seit 2018, und wir sind seit dem ersten Tag digital aufgestellt. Schon vor der Pandemie haben wir Live-Videos und ein erstes Kennenlernen über Microsoft Teams eingeführt. Dies werden wir auch so beibehalten.

Was unternehmen Sie in Sachen Diversity?

Louisa Vogt: Das ist bei uns ein grosses Thema. Aber genau wie beim Wellbeing: Wir schreiben uns das nicht einfach auf die Fahne. Wir prüfen in den Recruiting-prozessen, wo wir uns verbessern und was wir beeinflussen können. Uns ist es wichtig, niemanden auszuschliessen. Wir haben Personen bei uns im Büro, die nur die Recruiting-Prozesse von aussen anschauen, damit wir optimieren können.

Wir haben einige Erfolgsgeschichten mit Mitarbeitenden, die sehr gut integriert werden konnten. Bei uns heist Diversity nicht einfach, mehr Frauen anzustellen. Es ist zwar ein Ziel, dass wir den Frauenanteil in
Managementpositionen bei 50 Prozent beibehalten. Weiter sind unsere Büros darauf ausgelegt, dass auch Menschen mit Beeinträchtigungen sich gut zurechtfinden und bei uns arbeiten können.

Ladina Bass: Das ist auch bei uns ein grosses Thema. Wir haben aktuell drei Schwerpunkte: Erstens Gender: Wir haben aktuell nur 18,8 Prozent
Frauen im Unternehmen. Wir müssen und möchten diesen Anteil unbedingt erhöhen. Die SBB bietet ein Netzwerk für Frauen, in dem sich alles um Women’s Empowerment dreht. Hier können sich die Kolleginnen austauschen, voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen.

Zweitens Sprachvielfalt: Die Mehrheit unserer Mitarbeitenden ist deutschsprachig. Hier legen wir den Fokus darauf, mehr Menschen aus der Romandie und dem Tessin einzustellen. Drittens Internationalität: Bei uns sind zwar bereits 95 Nationalitäten vertreten, trotzdem möchten wir diese Zahl mittel- und langfristig weiter erhöhen. Wir bei der SBB haben zudem ein starkes und aktives Queer-Netzwerk. Wir sind stolz darauf, mit dem «Swiss LGBTI-Label» ausgezeichnet worden zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Unternehmen

Im Interview

Unilever ist weltweit einer der grössten Hersteller von Verbrauchsgütern. Die Hauptgeschäftsbereiche umfassen die Produktion von Nahrungsmitteln, Kosmetika, Körperpflege­ sowie Haushalts­ und Textilpflegeprodukten. Unilever beschäftigt weltweit 168’000 Mitarbeitende in über 100 Ländern.

Die Schweizerische Bundesbahnen AG, kurz SBB, ist die staatliche Eisenbahngesellschaft der Schweiz mit Sitz in Bern. Die SBB beschäftigt über 33’900 Mitarbeitende und befördert täglich 880’000 Reisende sowie 185’000 Tonnen Güter. Die SBB entwickelt Bahnhöfe zu effizienten Verkehrsdrehscheiben und betrieblich nicht mehr benötig­te Areale zu attraktiven und belebten Stadtquartieren.

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