«Studiert, was euch Spass macht»

Erfolg ist an Fähigkeiten geknüpft. Wohin geht die Entwicklung für die HSG-Innovationsfachfrau, den Personalchef einer Bank und den Trendforscher? Wir haben Fachleute aus unterschiedlichsten Gebieten zu einem digitalen Roundtable-Gespräch eingeladen und Spannendes erfahren.

Von: Gerd Winandi-Martin | Datum: 02. August 2021 | Lesedauer: 10 Min

Wir leben in einer Zeit, in der digitale Technologien immer stärker mit der physischen und biologischen Welt interagieren. Gemäss Klaus Schwab, Gründer und Präsident des World Economic Forums WEF, ist dies eine so komplexe und umfangreiche Transformation, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Dazu kommt die aktuelle Corona-Pandemie, und es ist noch nicht absehbar, was diese für langfristige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben wird.

Jakub Samochowiec, Sie sind Trendforscher am Gottlieb Duttweiler Institut und Autor der aktuellen Future Skills-Studie. Braucht es arbeitende Menschen in Zukunft noch?
Jakub Samochowiec: Ja, es wird immer etwas zu tun geben, allerdings werden sich die Rahmenbedingungen wie Vergütung, Art der Arbeit, Art der Anstellung, Arbeitsort etc. teilweise stark ändern. Ausserdem ist es eher das Mittelmass, das von der Automatisierung bedroht ist. Exzellenz wird bleiben.

Sabine Seufert, wie sehen Sie das?

Sabine Seufert: Aus meiner Sicht werden Maschinen zunehmend zur Rationalisierung eingesetzt und ersetzen somit auch immer häufiger Menschen. Substitution gab es auch schon in der Vergangenheit, das ist nicht neu. Es wird in Zukunft daher die Frage zu diskutieren sein, wie das Zusammenspiel von Mensch und Maschine funktioniert, welche komparativen Vorteile sich aus der Zusammenarbeit ergeben und welche Handlungsfelder und Optionen entstehen – also Augmentation statt Substitution wird wichtiger.

Alex Villiger, Sie beschäftigen sich mit dem Thema Future Skills und der damit verbundenen Transformation im Banking. Wie verändert sich aktuell die Bankbranche?
Alex Villiger: Wir werden die Veränderung in drei Wellen erleben: Die erste Welle läuft schon länger und beinhaltet, dass mächtiger werdende Systeme repetitive Funktionen ersetzen. Die zweite Welle beinhaltet die künstliche Intelligenz, die auch Sachbearbeitungsfunktionen gefährden wird. Bei der dritten Welle handelt es sich um emotional intelligente Roboter, die uns überall unterstützen und begegnen. Die zweite Welle kommt aktuell auf uns zu und wird die Bankenwelt nachhaltig verändern. Auf der anderen Seite entstehen auch neue Jobs, zum Beispiel Data Warehouse-Analysten oder Social-Media-Fachpersonen. Diese Jobs sind häufig mit einem höheren Anforderungsprofil verbunden, was heisst, dass wir unsere Mitarbeitenden "upskillen" müssen und werden.

«Es ist eher das Mittelmass, das von der Automatisierung bedroht ist Exzellenz wird bleiben.»

Videoausschnitte aus dem virtuellen Roundtable
zum Thema "Neue Arbeitswelten"

Sabine Seufert, wie gestaltet sich der Veränderungsprozess aus Ihrer Sicht?
Sabine Seufert: Wir sehen aktuell eine grosse Heterogenität, beispielsweise erleben wir einen boomenden Start-up-Markt, während auf der anderen Seite klassische Jobs, wie von Herrn Villiger erwähnt, wegfallen. Die grossen Veränderungen bringen selbstverständlich die Bereiche Data Science, Künstliche Intelligenz und smarte Dienstleistungen, etwa in der Medizin, im Gesundheitsbereich oder im Smart Home mit sich. Ich bin überzeugt, dass auch praktische Fertigkeiten, wie das Handwerk, in der Zukunft mehr an Gewicht gewinnen werden. Das heisst, dass gute Zukunftskompetenzen auch sehr bodenständig sein können.

Jakub Samochowiec, gibt es zu den Ausführungen von Herrn Villiger und Frau Seufert Ergänzungen?
Jakub Samochowiec: Die Fragestellung, ob es in Zukunft diesen oder jenen Job noch geben wird, empfinde ich als sehr passiv und löst das Gefühl aus, dass die Zukunft uns zustossen wird. Vergleichbar mit einer dunklen Wolke, die über uns herzieht und wir hoffen, dass es jetzt nicht gleich über uns zu regnen anfängt. Entscheidender aus meiner Sicht ist daher eine gesellschaftliche Debatte um die Fragestellung, wie wir den Arbeitsmarkt der Zukunft gemeinsam und aktiv gestalten wollen. Es braucht neue Ideen und es braucht Visionen und Experimente. Mit der Pandemie wurde das Home-Office zum plötzlichen Experiment. Weitere Experimente wären beispielsweise der 6-Stunden-Arbeitstag oder das bedingungslose Grundeinkommen.

«Ich bin überzeugt, dass auch bodenständige, praktische Fertigkeiten, wie das Handwerk in der Zukunft mehr an Gewicht gewinnen werden.»

Welche Skills sehen Sie als essenziell für die Zukunft?
Sabine Seufert: Für mich hat der Umgang mit den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen Priorität. Ich würde den Studierenden empfehlen, weniger vorgefertigte Kompetenzlisten abzuarbeiten, sondern vielmehr zu überlegen, wo die individuellen Stärken liegen und wie diese eingebracht werden. Ich plädiere für eine Abkehr vom Defizitdenken.
Jakub Samochowiec: Wir haben die Kompetenzen in drei Kategorien unterteilt: In Wissen, Wollen und Wirken. "Wissen" sind konkrete Inhalte, zum Beispiel eine Programmiersprache lernen. Das Thema "Wollen" behandelt die Selbstbestimmung und mit "Wirken" ist der Glaube und das Vertrauen gemeint, die gesteckten Ziele auch erreichen zu können. Für mich zentral ist die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen – wofür das "Wollen" und "Wissen" bedeutsamer werden.

Können Sie unseren Studierenden abschliessend einen Tipp geben?
Alex Villiger: Studiert, was euch Spass macht, packt viel in den Rucksack und verpasst die technologische Entwicklung nicht.
Sabine Seufert: Probiert im Studium viel aus und wählt eure Kurse nach Interessen und Präferenzen, kombiniert mit Praxiserfahrung. Als künftige Führungskräfte gilt es, die aktuellen Entwicklungen zu verstehen und eine Vision für die gelungene Partnerschaft von Mensch und Maschine zu entwickeln.
Jakub Samochowiec: Traut euch, Entscheidungen zu treffen. Und wenn ihr unsicher seid, denkt daran, dass die anderen auch nur bedingt wissen, was sie tun.

Ein perfektes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch.

Unsere Gäste des (digitalen) Roundtables

Prof. Dr. Sabine Seufert, Ordentliche HSG-Professorin für Wirtschaftspädagogik, insbesondere pädagogisches Innovationsmanagement

Dr. Alex Villiger, Leiter Personal, Graubündner Kantonalbank und HSG-Absolvent

Dr. Jakub Samochowiec, Trendforscher am GDI und Autor der aktuellen Future Skills-Studie

Moderator

Gerd Winandi-Martin, Leiter Career & Corporate Services, moderierte das digitale Roundtable

GDI

Älteste Denkfabrik der Schweiz

Das Gottlieb Duttweiler Institut GDI geht zurück auf den gleichnamigen Migros-Gründer und ist ein unabhängiger Think Tank in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum. Die Forscherinnen und Forscher untersuchen am GDI Megatrends und Gegentrends und entwickeln Zukunftsszenarien für Wirtschaft und Gesellschaft.

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